Von Punta Arenas in die Antarktis

Ich sitze in meiner Kabine und schaue raus in den Schneesturm. Es ist der 6. Tag an Bord, und der 5. Tag auf Seereise. Nachdem ich Puerto Williams am 26.11. verlassen habe, habe ich in Punta Arenas sehnsüchtig auf die Ankunft der Roald Amundsen gewartet - das neue Hybrid-Flagschiff der Hurtigruten und für die nächsten 2 Wochen mein zu Hause. Für einen Polarkreuzer groß, für ein Kreuzfahrtschiff klein: 140 m lang, wir sind etwa 550 Personenn an Bord (inkl. 155 Crew), das Durchschnittsalter der Passagiere definitiv jenseits der Verrentung, aber nicht ganz so extrem, wie befürchtet. Die allermeisten können sogar selbstständig gehen.

Die Seereise begann mit einem ungeplanten Tag im Hafen - etwa 3/4 der Passagiere hat ihr Gepäck in Santiago durch einen bewaffneten Raubüberfall auf den Gepäcktransporter verloren. Hätte ich meine Route nicht wetterbedingt geändert, hätte das auch mich treffen können. Der erste Tag an Bord daher geprägt vom Bemühen darum, über 300 Menschen polarfest neu einzukleiden - was für ein Spaß. Tatsächlich haben sich wohl nicht wenige der Betroffenen entschieden, die Reise nicht anzutreten - mutet unverständlich an, aber es sind halt auch nicht alle (so wie ich) auf "der Trip meines Lebens" hier - für nicht wenige der Best-Ager scheint das eher ein Haken auf der bucket-list zu sein, den setzt man dann halt ein paar Wochen später...auch der Erwerb von Outdoor Kleidung in den üblichen Kreuzfahrer-Größen XXL, XXXL, 4XL und 5 XL stellte das Team vor einige Herausforderungen.

Ich war am ersten Abend super-aufgeregt, bin durchs ganze Schiff gerannt, hab Jacuzzi, Sauna und Fitness Raum angetestet und sämtliche Aussichtsplattformen und das Science Center begutachtet und mich riesig aufs Ablegen gefreut - entsprechend war die Nachricht, wir bleiben noch die Nacht und den nächsten Vormittag zwecks Shopping im Hafen, ein ziemlicher Downer.

Irgendwie nicht so der Brüller, auf einem Schiff im Hafen zu liegen, fühlt sich eindeutig klaustrophobisch an...umso größer die Freude, als wir am 29. gegen 14 Uhr wirklich und endlich ablegen, durch die chilenischen Fjorde und den Beagle Kanal mit Kurs auf Kap Horn. Ich bin am nächsten Tag um 5 Uhr aufgestanden, um unser Einlaufen vor Puerto Williams nicht zu verpassen - die "Dientes" liegen leider im Nebel, und die Frühschicht hätte es auch nicht gebraucht, da wir nachher 3 Stunden wegen Zoll- und Einreiseformalitäten vor Puerto Williams rumdümpeln. Aber egal, ich hatte das Deck für mich und konnte wunderschöne Fjorde betrachten...ich leide unter leichter Überforderung, auf dem Panorama-Deck oben ist es für Daueraufenthalt zu kalt und windig, und wenn ich drinnen auf einer Seite des Schiffs am Fenster sitze, habe ich immer Angst, auf der anderen Seite etwas zu verpassen...am Spätnachmittag landen wir dann tatsächlich in Kap Horn an - Riesenglück, es ist quasi windstill! - und ich kann irgendwie immer noch nicht fassen, dass ich tatsächlich am südlichsten Zipfel Südamerikas stehe. Dass ich wirklich hier bin und wir morgen Richtung Antarktis fahren...

Am nächsten Tag die Drakepassage, inneres Aufatmen, draussen nur Wasser, nix zu verpassen, man kann entspannen, es schaukelt, aber nicht so wild, ich bin die ganze Zeit müde und mein Bauch spielt auch verrückt - was bei der Mischung aus zuviel Input und zuviel Essen nicht wirklich verwundern kann. Dafür erfasst mich ein bisschen der Weltschmerz, ich fühle mich nicht zugehörig (ich werde auch oft gefragt, ob ich zur Crew gehöre, was ich mal als Kompliment nehme) und die im Vorfeld relativ erfolgreich verdrängten Fragen nach Nachhaltigkeit, Equity und Massentourismus wollen sich auch angesichts des Konsumverhaltens vieler an Bord einfach nicht mehr in die Ecke stellen lassen...am nächsten Morgen stehe ich um 4.30 auf um die Passage hin zu den Shetland-Inseln nicht zu verpassen. Ich werde belohnt mit 2 Stunden quasi allein auf dem Aussichtsdeck und meinem ersten Eisberg! Die Passage kommt erst später, die antarktischen Inseln, Gletscher, Eis und Schnee - es ist total unwirklich. Die Sonne kommt heraus und ich kann von Deck aus Tiere beobachten: Buckelwale, schwimmende Pinguine, Seevögel ohne Ende...ich lege insgesamt 7.5 km auf der 150 m Bahn auf dem Oberdeck zurück (also jetzt laufen, nicht joggen), immer ums Schiff, immer die Küstenformationen und das Meer im Blick, während ich darauf warte, dass meine Landungsgruppe (ich bin ein "wandering Albatross") aufgerufen wird, als Letzte für heute - und dann ist es soweit, wir gehen an Land und sehen Pinguine und Elefantenrobben aus der Nähe. Ganze Kolonien von Pinguinen, aber am beeindruckendsten sind die einzelnen kleinen Kollegen, die völlig unbeeindruckt an uns vorbeiwatscheln - das ist einfach bezaubernd. Im Geiste nehme ich alles zurück, was ich im Vorfeld gesagt habe zum Thema "Pinguine interessieren mich nicht so, ich will Eis sehen" - klar will ich Eis sehen, aber eben auch Pinguine, und Wale sowieso, und Delphine und ich erwische mich dabei, dass ich anfange, mich für Vögel zu interessieren...wir sehen Buckelwale und ganze Orka-Familien, und angeblich gibt es sogar eine Chance auf Blauwale...völlig fertig von den ganzen Eindrücken ziehe ich mich früh zurück, irgendwie interessieren mich Sauna und Jacuzzi nicht mehr, das ist alles einfach zuviel, zu viel Input, zu viel Angebot, zu viel Essen sowieso, von zu viel Menschen und zu viel "Bedientwerden" ganz zu schweigen.

Heute sind wir dann weiter Richtung antarktischen Kontinent gefahren, die geplante Anlandung in Orne Harbor fällt wegen eines Schneesturms und Treibeis in der Bucht leider aus, jetzt fahren wir in Richtung einer anderen Bucht, vielleicht wird das noch was mit dem Landgang - Festlandantarktis, das wäre schon toll! Aber ich bin so oder so voll von Eindrücken, Bildern und Empfindungen, meine Märsche an Deck helfen auch gegen den Bordkoller, und hej - ich habe heute schon 9 Orkas gesehen! Total im Glück, und gespannt, was uns noch weiter erwartet...[spoiler alert: wir waren im Paradise Bay und die Bilder vom Landgang sind schon sortiert...]


Der Hafen von Punta Arenas und die MS Roald Armundsen
Der Hafen von Punta Arenas und die MS Roald Armundsen
Endlich fahren wir los - Ciao, Punta Arenas!
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Die Fjorde sind der Hammer und ich freu mir 'nen Wolf!
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Das Science Lab echt vom Feinsten - darf ich vorstellen: ein Orca-Schädel
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Die Gäste sprechen allerdings mehrheitlich eher diesem Angebot zu...
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Crucero vor Puerto Williams
Crucero vor Puerto Williams
Puerto Williams vom Crucero
Puerto Williams vom Crucero
Cowboys/girls der Meere - unsere erste Anlandung im Zodiac
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Das legendäre Kap Horn
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Kap Horn Gedenksteim, im Hintergrund Ameisenstraße der Hurtigrutengäste zum berühmten Albatross-Denkmal
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Mein erster Eisberg
Mein erster Eisberg
Ankunft in der Antarktis
Ankunft in der Antarktis
Unendliche Weiten, echt schwer zu fotografieren - als Gesamtpanorama einfach umwerfend
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Shetland Inselgruppe, unsere erste Station
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Den ganzen Tag an Deck in der Sonne, Eisberge gucken, und Schnee, und Wale
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Und dann schliesslich: Anlandung. Pinguine!
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Pinguinkolonie vor Mutterschiff und Landungsgruppen
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Pinguine und Elefantenrobben
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Pinguin spielt Schildkröte
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Ankunft am Festland - Wetter will nicht
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Dafür mehr Eisberge...
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Orkas...(dieses Suchbild auch als Erklärung, warum es keine Walfotos gibt: zu weit weg, zu schnell vorbei, live lohnt sich, Foto selten)
Orkas...(dieses Suchbild auch als Erklärung, warum es keine Walfotos gibt: zu weit weg, zu schnell vorbei, live lohnt sich, Foto selten)
Panorama
Panorama