Antarktis II

Jetzt sind wir schon auf der Rückfahrt - 48 Stunden bis zu den Malvinas (Falklandinseln), ich freue mich aufs wandern und einen Ruhetag auf dem Schiff, aber das Herz ist auch schwer, weil ich mich von den Wundern der Antarktis schon wieder verabschieden muss.

Wir hatten insgesamt wieder unglaubliches Glück mit dem Wetter und den Bedingungen, auch wenn so einige Pläne B, C oder D aktiviert werden mussten, ich muss jetzt erstmal mit Stift und Zettel den Ablauf nachvollziehen. So viel gesehen und erlebt, und nichts aufgeschrieben ... den letzten Blog habe ich im Morgengrauen des 5.12. online gestellt, danach ging's dann durch den Lemaire-Kanal, zwischen wunderschönen Bergformationen auf der Kontinentalseite und stattlichen Gletschern auf der insularen mit Ziel Port Charcot, dort macht uns noch einmal das Wetter einen Strich durch die Anlandungs-Rechnung, dafür fahren wir mit dem Schiff mitten ins Packeis - das ist noch mal was ganz Eigenes, das ganze Schiff ist umgeben von einer fast geschlossenen Eisdecke, wir sehen sogar ein paar Robben (die für unser Schiff gerade mal ein müdes Kopfheben übrig haben), das Eis knirscht und rumpelt, wenn sich der Bug langsam durchschiebt, statt Mittagsschlaf also raus in die Polarsonne, die Szenarie bewundern. Die Crew will eine Eisbegehung mit uns machen, aber findet keine sichere Stelle; ich bin da gar nicht so traurig drüber - die Vorstellung, 400 Leute im Gänsemarsch aufs Eis zu befördern, ist irgendwie nicht so prickelnd. Und oben an Deck in der Sonne die sich langsam änderne Umgebung bewundern ist wirklich spektakulär genug. Am Nachmittag landen wir dann doch noch an: in der Vernedsky-Forschungsstation, wo 12 ukrainische Wissenschaftler das ganze Jahr über ausharren, und im Sommer Souvernirs an vorbeifahrende Kreuzfahrttouristen verkaufen. Lustig ist, dass die Station - der südlichste Punkt unserer Reise mit fast 65°S - von einer Pinguinplage heimgesucht wird, vor ein paar Jahren waren es 75, jetzt sind es über 600, und die ganze Station riecht jetzt schon nach Pinguin-Exkrementen...hehe, die Rache der Wildnis.

Wir fahren durchs Packeis wieder zurück und übernachten in einer hübschen Bucht, richtig Verkehr hier! Ich zähle mindestens 4 Schiffe, und in Damoy Point, wo wir später anlanden, kommen noch mal 2 dazu, für antarktische Verhältnisse ist das schon fast Stau - normalerweise ist der Kodex eigentlich, möglichst ausser Sichtweite anderer Schiffe zu bleiben (vermutlich, um den Mythos von der Unberührtheit zu erhalten).

Ich habe gestern zuviel Sonne abbekommen, und bin irgendwie auch sonst zerknautscht, die seit Tagen latenten Kopfschmerzen werden immer schlimmer, da trifft es sich gut, dass unser Schiff in Warteposition vor sich hinschaukelt und ich erst abends "dran" bin - meine "ich schlaf dann mal und ruhe mich aus" Rechnung habe ich allerdings ohne das schiffseigene Hochdrucksystem gemacht, dessen Kompressor scheints direkt unter meiner Kabine liegt, jedenfalls fällt mein Mittagsschlaf diesmal ohrenbetäubendem Krach und krassen Vibrationen zum Opfer; aber egal, weil heute Abend darf ich endlich zum Schneeschuhwandern, großes Losglück (beim Kajaking gehörte ich leider nicht zu den Auserwählten), darauf freue ich mich schon sehr. Naiv wie ich bin, hatte ich tatsächlich die angekündigten 2-4 Stunden Dauer und "physical fitness required" in eine richtige Wanderung übersetzt, oder naja, sagen wir mal, einen anständigen Spaziergang. Statt dessen stapfen wir mit insgesamt 90 Leuten einmal über einen Hügel in Sichtweite des Schiffes, und stehen gefühlt mehr als das wir laufen - das ist schon ein bisschen schade. Darüber hinweg trösten die unglaubliche Aussicht z.B. auf die "7 sisters" und die britische Forschungsstation Lockroy, na und natürlich mehr drollige Pinguine. Irgendwie habe ich mich gefühlt den halben Tag im Leerlauf um mich selbst gedreht (wie unser Schiff), nicht gut für die Laune, naja, ab morgen wieder Deckrunden und im Zweifelsfall mehr Chemie gegen die Kopfschmerzen. Abends durchfahren wir noch einmal den Lemaire Kanal (nach wie vor: die "Torres" können dagegen echt einpacken!) und bevor ich ins Bett gehe, zeigt sich direkt vor meinem Fenster ein Buckelwal...der sich auf die Seite legt und mit der Vorderflosse winkt...ich vergehe fast vor Rührung und bin mit der Welt wieder im Reinen. Das Schiff fährt über Nacht Richtung Deception Island, wir verlassen damit den antarktischen Kontinent also schon wieder in Richtung Inselketten. Am 7. weckt mich morgens um 5 wieder der Kompressor - reichlich genervt stehe ich auf und laufe mich auf einem komplett leeren Deck erst mal wach und wieder happy, um 7.30 wird es oben voll, wir fahren durch den "Teufel's Blasebalg" genannten, schmalen Eingang in den Krater bzw. die Caldera eines aktiven Vulkans, "Deception Island" eben, und gehen an einem von schwarzem Gestein und Sand geprägten Strand an Land. Die aufsteigenden Dämpfe lassen die obersten 20-30 cm Wasserfläche warm bis heiss werden und der Rest des Wassers ist auch "nur" 4 Grad kalt (nicht minus 1.8 Grad wie hier sonst so üblich) - Zeit für den "Polar Plunge". Eine ungefähr 85-jährige Amerikanerin schiesst dabei dieses unglaubliche Foto von mir mit dem Pinguin. Das wird mein Bewerbungsfoto, wenn ich demnächst bei Hurtigruten als Expedition Scientist anheuere!

Zurück an Bord gönne ich mir eine Nackenmassage im schiffseigenen SPA, wo die resolute Masseurin mich gleich wieder einbestellt - und sie hat ja Recht, meine Nackenmuskulatur kann "hot stone massage" mit Sicherheit brauchen - , höre mir einen bezaubernden Vortrag von dem grönländischen Kajak-Führer über die Geschichte der Inuit und des Kajaks an, drehe noch ein paar Runden an Deck und will früh schlafen gehen, als mich die Rezeption (der ich nachmittags meine Kabinensituation geschildert hatte) anruft, Guten Abend Madam Elke und ob ich die Kabine wechseln wolle, Deck 7 mit Balkon, ich kann mein Glück kaum fassen! Nicht nur kein Lärmstress mehr, sondern ein eigener Balkon! Nicht mehr durchs ganze Schiff laufen, um an die frische Luft zu kommen, alleine Wale gucken, lüften! Kommt meinem einsetzenden Bord-Koller sehr entgegen. Ich ziehe also um, und schaue von meinem Balkon auf vorbeiziehende Eisberge und die letzten Ausläufer des Festlands in der Ferne. Über Nacht geht es nach Elephant Island, der letzten Insel vor der Drake-Passage, ein fast vollständig vergletschertes Steilküsten-Gebilde, das hauptsächlich wegen der Shackleton-Expedition bekannt ist: eine echt abgefahrene Geschichte, ein Expeditionsschiff, das eigentlich die erste Antarktisüberquerung zum Ziel hatte (also Männer, Hunde und Material hierfür transportiert) wird im Packeis zerrieben und die Mannschaft bleibt erst auf dem Packeis, rudert dann 3 Wochen, bis sie zu dem komplett unwirtlichen Elephant Island gelangen, von wo dann Shackleton mit 6 Männern und einem umgebauten 7 m  Rettungs-Segelboot durch wildeste Stürme bis Süd-Georgien fährt, dort nochmal in 36 Stunden einen komplett unkartierten Gletscher überquert und von der Walfangstation aus die Rettung der verbliebenen Männer auf Elephant Island organisiert, die dort im antarktischen Winter 4 Monate unter einer aus 2 Rettungsbooten improvisierten Schutzhütte ausharren...unglaubliche Leistung, lohnt sich echt nachzulesen (gibt auch einen Film darüber, der läuft gerade unten, aber für geschlossenen Raum ist mir dann der Seegang doch etwas zu erheblich gerade). Wir fahren mit den Schlauchbooten an deren "Camp" vorbei, direkt unterm Gletscher, absolut unvorstellbar, hier auch nur einen Tag zu bleiben - und wir haben Sommer...


Ich bin ganz wehmütig beim Aufbruch, jetzt ist es endgültig vorbei mit der Gletscherwelt, Malvinas ist zwar bestimmt sehr schön, aber da ist jetzt Frühsommer - so mit Pflanzen und so...das war viel zu kurz, ich will noch mal, bei meinen Deckrunden nimmt die Phantasie, auf so einem Schiff anzuheuern, immer mehr Raum ein. Meine Kopfschmerzen sind auch weg, ob das die Massage war, oder der Polar Plunge oder der Kabinenwechsel - egal, Hauptsache mir geht's den Rest der Reise gut! Morgen sind wir den ganzen Tag auf See, vielleicht zeigen sich noch ein paar Wale oder Delphine, und am 10. mittags laufen wir dann in Stanley ein, und ich für ca. 8 Stunden soweit weg von allen Gruppenausflügen wie irgend möglich!


Nur zur Klarstellung - die Leute an Bord sind größtenteils echt okay, ich hab keine Filme oder so, es reicht nur einfach allmählich mit der Enge und dem Small-Talk und den immer gleichen Gesichtern auf den immer gleichen Gängen und den immer gleichen Sprüchen...und v.a. mit dem Schlange stehen und im Gänsemarsch irgendwo durchgeschleust werden....und so dankbar ich für die Möglichkeit der Deckrunden bin, so richtig Auslauf ist schon was anders. Also Dienstag Nachmittag, große Freiheit!


So früh am Morgen habe ich Deck und Eisberg ganz für mich!
So früh am Morgen habe ich Deck und Eisberg ganz für mich!
Wir nähern uns Lemaire Strait
Wir nähern uns Lemaire Strait
Torres del Paine kann sowas von nachhause gehen dagegen
Torres del Paine kann sowas von nachhause gehen dagegen
Da geht's durch...
Da geht's durch...
Und dann rein ins Packeis!
Und dann rein ins Packeis!
2 min später sieht man schon nichts mehr
2 min später sieht man schon nichts mehr
Wir fahren zur Forschungsstation Vernadsky, vorbei an wunderschönen Eisbergen
Wir fahren zur Forschungsstation Vernadsky, vorbei an wunderschönen Eisbergen
Hier wurde das Ozonloch entdeckt...heute von Pinguinen besetzt
Hier wurde das Ozonloch entdeckt...heute von Pinguinen besetzt
Der südlichste Punkt unserer Reise mit 65.2°
Der südlichste Punkt unserer Reise mit 65.2°
Einige Glückliche dürfen Kajak fahren
Einige Glückliche dürfen Kajak fahren
Wir anderen bewundern weiter Eisberge und warten auf Wale
Wir anderen bewundern weiter Eisberge und warten auf Wale
Dann geht es durchs Packeis zurück
Dann geht es durchs Packeis zurück
Was für ein Tag! Sonnenuntergang so gegen 23 Uhr
Was für ein Tag! Sonnenuntergang so gegen 23 Uhr
Wir fahren Richtung Damoy Point und dort ein bisschen im Kreis - mein Versuch, aus der Sonne zu bleiben, wird von Walen und bizarr geformten Eisbergen torpediert
Wir fahren Richtung Damoy Point und dort ein bisschen im Kreis - mein Versuch, aus der Sonne zu bleiben, wird von Walen und bizarr geformten Eisbergen torpediert
Abends dann endlich Schneetourgehen bzw. stehen
Abends dann endlich Schneetourgehen bzw. stehen
Die "7 sisters", die britische Forschungsstation Lockroy und ein Schiff der G Expeditions
Die "7 sisters", die britische Forschungsstation Lockroy und ein Schiff der G Expeditions
Hier kann man schon mal bisschen im Kreis fahren - Damoy Point
Hier kann man schon mal bisschen im Kreis fahren - Damoy Point
...und natürlich Pinguine
...und natürlich Pinguine
Die Wächter der Zufahrt zu Deception Island
Die Wächter der Zufahrt zu Deception Island
Auf der anderen Seite kann man die vulkanischen Schichten und sogar einen alten Schlot erkennen
Auf der anderen Seite kann man die vulkanischen Schichten und sogar einen alten Schlot erkennen
Jetzt sind wir in der Caldera, 11 km Durchmesser hat die Insel, bevor er eingestürzt ist, war der Vulkan wohl um die 3000 m hoch
Jetzt sind wir in der Caldera, 11 km Durchmesser hat die Insel, bevor er eingestürzt ist, war der Vulkan wohl um die 3000 m hoch
Der dampfende Vulkanstrand, übersät mit totem Krill, bewacht von Pinguinen - bei genauem Hinsehen erkennt ihr den Chinstrap unter lauter Gentoo-Pinguinen
Der dampfende Vulkanstrand, übersät mit totem Krill, bewacht von Pinguinen - bei genauem Hinsehen erkennt ihr den Chinstrap unter lauter Gentoo-Pinguinen
Polar Plunge mit Pinguin
Polar Plunge mit Pinguin
Und damit verlassen wir leider die westantarktische Halbinsel endgültig Richtung Norden
Und damit verlassen wir leider die westantarktische Halbinsel endgültig Richtung Norden
Selfie von meinem Balkon
Selfie von meinem Balkon
Elephant Island - die kleine Landzunge rechts , dort war das Shackleton Camp
Elephant Island - die kleine Landzunge rechts , dort war das Shackleton Camp
Denkmal für den Kapitän des Rettungsschiffes
Denkmal für den Kapitän des Rettungsschiffes
Goodbye, Antarktis ...
Goodbye, Antarktis ...
Ein letzter Eisberg
Ein letzter Eisberg
...und dann nur noch offenes Meer
...und dann nur noch offenes Meer