Jetzt ist es soweit - es geht zurück nach Berlin. Die Aussicht auf Sonnenuntergang um 16 Uhr schockt mich dabei mehr als -2 Grad. Ich nutze die Zeit am Flughafen, doch noch die letzten gut 2 Wochen zu "Papier" zu bringen - und dabei meine Eindrücke nachzusortieren. Hier erstmal Teil 1 - weiter wandern in Patagonien.
Nach dem Rückflug vom Schiff aus Punta Arenas habe ich erstmal eine Nacht in Santiago verbracht, bzw. in einem Vorort in der Nähe des Flughafens. Das hat als Realitätswechsel weg vom 5 Sterne Schiff sehr gut getan, war aber auch krass. Das erste Mal richtig chilenische Großstadtrealität. Am nächsten Morgen ging es dann ganz früh weiter nach Coyhaique, der "Hauptstadt" von Nordpatagonien und der Provinz Aysen, wo es so fancy Dinge gab wie vegetarische Restaurants mit all gender Toiletten. Aber leider keine Infos über die Parque Patagonia Traverse, die ich vorhatte. Am Tag drauf dann nachmittags per Bus und Schiff nach Chile Chico, eine Kleinstadt kurz vor der argentinischen Grenze, wo die besten Kirschen Chile's produiziert werden, weil mehr oder weniger immer die Sonne scheint. Dort hat mich dann erstmal die Migräne niedergestreckt, was den Umständen nach aber glimpflich ablief und mir einen Ruhetag bei einer sehr spirituellen älteren Dame eingebracht hat, die mich gleich überzeugen wollte, alles hinter mir zu lassen, Gott zu finden und nach Chile Chico zu ziehen (letzteres wäre nicht der schlechteste aller Pläne. Der Ort ist extrem entspannt und trotz Tourismus noch recht verschlafen, die Leute sind super nett und das Wetter der Hammer).
Nachteil vons Janze war, dass ich dadurch einen Tag der 5 Tage-Gut-Wetter-Periode im Park verloren habe und mich bei der Traverse entsprechend sputen musste.
Am nächsten Tag also los vom "Lago Jeinimeni" aus ca. 100 km quer durch sämtliche Landschaftstypen Patagoniens. Der Parque Nacional Patagonia ist gerade erst aus der Fusion des bisher privat betriebenen Parque Patagonia mit den beiden angrenzenden Reservas Nacionales (Jeinimeni bei Chile Chico und Tamango bei Cochrane) entstanden und steht jetzt unter chilenischer Verwaltung (die CONAF, die staatliche Forstbehörde, ist für alle Nationalparks zuständig), mit 3 Sektoren, die den bisherigen Parks entsprechen. Dass der ehemalige private Park jetzt Sector Chacajuco heisst, kapiere ich auch erst, als ich scjon drinstehe...Das bedeutet leider auch, dass in der ersten Zone keiner weiss, was in der 2. und 3. passiert, und es entsprechend keine Infos gibt zu Länge, Dauer, Wegbeschaffenheit, Vorhandensein von Schutzhütten, Nahrung etc. entlang der von mir geplanten Strecke gibt. Ich sehe daher davon ab, die eigentlich vorgesehene Komplettstrecke zu laufen und gehe auf der einigermassen gesicherten Route, die halt leider von einer Straßenetappe unterbrochen ist.
Der erste Tag ist phenomenal: einerseits ultimativ gutes Wetter, wunderschöne Landschaft, menschenleer und im Prinzip gut zu gehen (also wenig Höhenmeter, kein Sumpf i.ä.) - andererseits ungefähr 60 Flussquerungen, die alle mindestens Knietief sind, und 2 eher so hüfttief, mit entsprechend Strömung...das lässt das Adrenalin schießen, aber auch ein wenig Frust aufkommen (wie um alles in der Welt kann man einen "Wanderweg" quer durch ein mäanderndes Flussbett legen?). Meine normale Strategie bei Flussquerungen beruht auf meinen wadenhohen Lundhags Boots, Regenhosen und Vertrauen. Funktoniert aber nur bis Kniehöhe für maximal 4 m Flussbreite - das hier wäre tatsächlich Einsatzfeld für meine schicken wasserfesten Trailrunner, die aus Gewichtsgründen im zurückgelassenen Koffer in Coyhaique liegen. Bene. Nasse Füsse und Schuhe it is. Nach dem 3. Mal lasse ich auch das Schuhe ausleeren und Socken auswringen einfach sein und wate fluchend in schwappendem Schuhwasser von Flussarm zu Flussarm. Als das dann endlich vorbei ist, geht es über einen Pass ins Valle Hermoso, was seinem Namen alle Ehre macht. Aber unten wartet die nächste freudige Überraschung in Form eines tiefen (und damit meine ich wirklich richtig tiefen) See-Zulaufes, der mich schwer zweifeln lässt, ob vorwärts grad so die richtige Richtung ist. Aber da zurück auch echt keine Option, suche ich nach einer vernünftig aussehenden Stelle, atme tief durch, sichere mein Handy und los gehts!
Etwa eine Stunde später komme ich dann am Refugio an, und freue mich über die Feuerstelle in der Hütte, die man sogar benutzen darf (ansonsten ist in Patagonien wegen Feuergefahr fast überall jegliche offene Flamme strengstens verboten). Der rustikale Ofen trocknet zwar meine klatschnassen Socken und Schuhe nicht wirklich, aber ich kann mich aufwärmen und den Abend ohne frieren ausklingen lassen - das ist schon auch echt viel wert. Am nächsten Tag begrüsst mich Sonne und ein weiteres mäanderndes Flussbett, ich habe meine Strategie angepasst (Watstellen umgehen und ansonsten Stiefel aus, Watschuhe an) und schaffe es trockenen Fußes und mit nur minimalem mich verlaufen über den nächsten Pass. Als ich an die Park- ich meine Sektorengrenze komme, wartet die nächste Überraschung: Menschen! Insgesamt bestimmt ein Dutzend! meistens sehr junge amerikanische Pärchen, die hart an Verbrennungen 3. Grades arbeiten und ernsthaft Lautsprecher-boxen umgebunden haben...naja, auch das geht vorbei, und zum Trost springt auf einmal ein Huemul aus dem Gebüsch und bleibt bestimmt eine halbe Stunde in meiner Nähe. Das Huemul ist ein vom Aussterben bedrohter kleiner Andenhirsch, der zwar nicht sehr spektakulär aussieht und es total nicht mit Rentieren aufnehmen kann, dafür aber sehr, sehr selten ist - der Ranger in Casa Piedra bestätigt mir später, was für ein Glück ich da hatte. Ich wandere also den Rest des relativ langen Tages beseelt durch eine wunderschöne Berglandschaft, die sich langsam von Alpin zu Steppe wandelt, mit ein paar Tupfern Vulkan zwischendrin. Ein Flussbad am Zeltplatz - einem Plateau überm Fluss mit Blick auf den roten Berg und einen Wasserfall gegenüber! - und dann ist es Zeit für Abendessen und Schlafengehen!
Der Abstieg am nächsten Tag zur Ranger-Station Casa Piedra zieht sich durch das ständige Auf - und Ab der Seitentäler, aber der Ausblick ist unglaublich. Eine Hängebrücke will überquert werden, und dann wartet die windige Ebene mit lauter lustigen Guanacos. Die CONAF bietet mir eine Mitfahrgelegenheit am Nachmittag durch das zentrale Tal "Valle Chacabuco" zum nächsten Campingplatz an (27 km Straße, leider ohne Wanderweg, aber durch eine der umwerfendsten Landschaftsformationen ever), daher mache ich Siesta und dusche! und schlage am Abend mein Zelt auf dem zentralen Campingplatz des Chacabuco-Sektors auf, wo mich nette Schweizer zum Salat einladen, den sie vor Argentinien noch dringend loswerden wollen (bei Überqueren der Grenze keine Agrarprodukte mitführen, insbesondere nichts Frisches). Im Gegenzug nehmen sie mir netterweise ein paar von meinen überzähligen Vorräten ab und freuen sich sogar über Schokolade, Nüsse und Toasties, genauso wie ich mich freue, morgen 2 Pfund weniger die 1000 Höhenmeter über den 1400 m - Pass schleppen zu müssen. Der Wetterbericht sagt leider immer noch, dass es übermorgen aus Kübeln schüttet, daher rüste ich mich für den Durchmarsch nach Cochrane.
Der Aufstieg verläuft überraschend entspannt, in 2.5 Stunden bin ich oben - ein Teil meiner Aufmerksamkeit gilt den umstehenden Bäumen und der Frage, ob mir von dort gleich ein Puma in den Nacken spŕingt. Ich wandere bei sehr wechselfahtem Wetter durch eine sehr sehr norwegisch anmutende Hochebene, inklusive Moor, und dann mit Blick aus patagonische Eisfeld und den Rio Baker runter nach Cochrane.
Dort nutze ich den folgenden Regentag (ach was, Regen, Wolkenbruch!), um einen Magen-Darm-Infekt auszukurieren, und beschließe, dass aus der letzten Tour zum Cerro Castillo ("Schloßberg") nur ein Tagestrip wird: Wetterbericht und Fitness raten ab vom Zelten im Hochgebirge, und anscheinend ist aus dem ehemaligen Geheimtip mittlerweile sowieso ein deutlich überfrequentierter Trek geworden. Also nitze ich den gewonnenen Tag, um noch einmal in Ruhe zurück ins Parkzentrum im Valle Chavabuco zu fahren, und verbringe im Anschluss 2 gemütlich Tage in Villa Cerro Castillo, glücklicherweise mit besserem Wetter als angesagt, einem Aufstieg zum "Castillo", und ruhigen Abenen in Gesellschaft von Hühnern, Pferden und Kühen gefühlt am Ende der Welt. Dann heisst es Abschied nehmen von Patagonien, die Wandersachen wegpacken und mich innerlich auf Wüste umpolen. Aber das wird dann die nächste Geschichte...































